DGB Sachsen - BILLIG KOMMT TEURER - Öffentliche Aufträge gesetzlich fair regeln!

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Berichte

08.10.2012, Pirna Q 24

Öffentliche Aufträge: Gesetz ist nicht gleich Gesetz - Abgeordnete diskutieren in Pirna auf Einladung des DGB

Unter dem Titel „Brauchen wir ein neues sächsisches Vergabegesetz?“ diskutierten Landtagsabgeordnete der demokratischen Parteien gemeinsam mit Landrat Michael Geisler und Dr. Thorsten Schulten vom WSI der Hans-Böckler-Stiftung am 08. Oktober im Q 24 in Pirna über öffentliche Auftragsvergabe. Eingeladen hatte sie der DGB und das Bündnis für soziale Gerechtigkeit. Nach der Einführung durch den DGB-Kreisvorsitzenden Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Thomas Dißelmeyer, hielt Dr. Thorsten Schulten das Einstiegsreferat.

In seinem Vortrag ging er auf die Geschichte von Tarifregelungen ein, skizzierte die Entwicklung von Tariftreue- und Vergabegesetzen in Deutschland und arbeitete Kernpunkte der aktuellen Vergabegesetzdiskussion in den Bundesländern heraus. Die sozialpolitische Motivation und die Grundabsicherung der Qualität von Arbeit spielte eine zentrale Rolle. Ebenso die Frage der staatlichen Rahmenbedingungen zur Festlegung von Mindestlöhnen und zur Stützung von Tarifvertragssystemen. Dr. Schulten erinnerte an die erste tarifliche Regelung bezüglich Vergabekriterien im Deutschen Reich und nahm Stellung zu regionalen tariflichen Regelungen. So führte er beispielsweise den Versuch ins Feld, im Dresdner Stadtrat am 30. Juni 1906 eine Regelung zur Tariftreue zu erzielen, die bei städtischen Arbeiten zu bestimmten „vertragsmäßigen Leistungen“ verpflichten sollte. Bei dem seinerzeit mehrheitlich durch den Rat der Stadt Dresden abgelehnten Antrag sollten die Unternehmen gezwungen werden, durch „Tarif zwischen Unternehmen und Arbeitern festgelegte Lohn- und Arbeitsbedingungen“ zu erfüllen.
um Spannungsbogen von Dr. Schulten gehörten auch die internationalen Regelungen in Großbritannien, in Frankreich und den USA sowie die ILO-Konvention 94, die mittlerweile von 62 Staaten ratifiziert ist. Nicht jedoch von Deutschland. Der Hauptreferent ging auf die Vergaberichtlinien der Europäischen Union von 2004 ein und erläuterte die nach den Bundesverfassungsgerichtsurteilen von 2006 entstehende politische Diskussion über die Tariftreueregelung und entstehenden Vergabegesetze in der Bundesrepublik Deutschland. Er teilte dabei die Diskussion in zwei Phasen ein. Und zwar eine Phase vor dem Rüffert-Urteil des EuGH vom März 2008 und in die nach dem Rüffert-Urteil. Die politische Dynamik der Tariftreueregelung der Bundesländer führte zu einer Revision und Überarbeitung der ursprünglichen Tariftreuegesetze. Dr. Schulten ging auf die drei Ansätze zur Regelung eines bestimmten Lohnniveaus bei öffentlichen Aufträgen ein.

Dabei ging er auf die Tariftreueerklärung auf Basis des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG), die umfassenden Tarifträgerüberlegungen für den Verkehrssektor - mit seiner europarechtlichen Sonderstellung - und die Festlegung eines allgemeinen vergabespezifischen Mindestlohnes ein. Im Kontext des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes stellte er die in den Branchen gültigen Mindestlohnregelungen in Sachsen vor. Im Anschluss stellte der Hauptreferent vom WSI die Regelung der vergabespezifischen Mindestlohnregelungen in den zurzeit geltenden Gesetzen in Deutschland vor. Abschließend erläuterte er weitere soziale und ökologische Kriterien bei der Auftragsvergabe, die z. B. die Frauenförderung, die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen und die Beschäftigung von Behinderten umfasst. Besonders ging er auf die in Nordrhein-Westfalen geltenden Kriterien für die gleichen Beschäftigungsbedingungen für Leiharbeitsverhältnisse und die ILO-Kernarbeitsnormen bei der öffentlichen Beschaffung ein.

Nach dem Eingangsstatement ging der Landrat der Sächsischen Schweiz-Osterzgebirge Michael Geisler in seinem Beitrag auf Anforderungen an ein modernes Vergabegesetz aus Sicht des Landkreises ein. Dabei strich er eingangs die Notwendigkeit zur Einhaltung der vorliegenden Budgets des Landkreises heraus. Er stellte die Grundbedingungen der Haushaltsbewirtschaftung in Zeiten knapper werdender Kassen kurz dar und die Begrenztheit zur Regulierung eigener Einnahmen. U. a. führte er aus, dass der Landkreis über die kleine Möglichkeit zur Einnahme einer eigenen Jagdsteuer verfügt, die im Übrigen nur 60 bis 70 Tausend Euro einbringt. Landrat Geisler fragte, ob man bereit sei, Abgaben zu erhöhen, was jedoch angesichts der finanziellen Situation der Bürgerinnen und Bürger im Landkreis nicht in Frage kommen kann. Die Spielräume sind also extrem gering und müssen im Kontext der öffentlichen Auftragsvergabe beachtet werden.
Michael Geisler zeigte jedoch großes Verständnis dafür, dass mit der öffentlichen Auftragsvergabe die Berücksichtigung von Qualität der abgeforderten Leistung gesteuert werden muss. Auch zeigte er Verständnis für die Argumentation der Gewerkschaften, dass auf Dauer mit niedrigen Löhnen keine entsprechende Qualität der Arbeit erreicht wird. Die Lebensbedingungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen im Blick behalten werden. Der Landrat stellte die grundsätzlichen Ziele der Auftragsvergabe dar und sprach sich u. a. dafür aus, dass im transparenten Wettbewerb möglichst die Firmen zum Zuge kommen sollen, die das wirtschaftlichste Angebot für entsprechende Leistungen abgeben. Zur Wirtschaftlichkeit gehört neben Transparenz bei der Auftragsvergabe natürlich die Suche geeigneter Unternehmen aus der Region. Geisler verwies darauf, dass es in Bayern offensichtlich den Landkreisen immer wieder gelingt, vor allen Dingen ihre eigenen Firmen zu beauftragen. Er stellte in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit des eigenen regionalen Wirtschaftskreislaufes dar. Der Landrat sieht durchaus den Zusammenhang der öffentlichen Auftragsvergabe mit zusätzlichen Kriterien, wie z.B. die zur Verfügung Stellung von Ausbildungsplätzen und auch sozialen Kriterien. Sie seien ein „interessantes Feld“ für die öffentliche Auftragsvergabe. Geisler war es wichtig darzustellen, dass es ein großes Potenzial von Auftragsvergabe der öffentlichen Hand von Seiten der Kommunen gibt, die weit über Baufirmen hinaus geht. Er nannte dabei die Verkehrsdienstleistungen, die Essensvergabe in Schulen und in Kita’s sowie die Aufträge an die sozialen Träger. Um die Dimensionen deutlich zu machen, nannte er kurz den Gesamtumsatz des Landkreises mit 260 Mio Euro. Wenn davon die Personalkosten und weitere feststehende Kostenbereiche abgezogen werden, bleiben im groben an die 200 Mio Euro, die in irgendeiner Weise als öffentliche Aufträge vergeben werden.

Dem Landrat ist es jedoch ebenso wichtig, dass die öffentliche Auftragsvergabe in einem rechtlich überprüfbaren Rahmen und in umsetzbarer Weise realisiert wird. Er regt zudem an, ob es nicht möglich sei, bei kommunalen Eigenbetrieben Sonderregelungen in Kraft zu setzen, die es z. B. dem öffentlichen Personen- und Nahverkehr gestatten, die Auftragsvergabe gesondert zu bewerten. Zumal es sich bei diesen Firmen teilweise um Unternehmen handelt, die bestimmte Kostenbereiche sowieso in öffentlicher Hand durchführen. Geisler unterstrich auch die große Verantwortung der Vergabestellen selbst. Er nannte positive und negative Beispiele in seinem Landkreis.
Dem Landrat ist es jedoch ebenso wichtig, dass die öffentliche Auftragsvergabe in einem rechtlich überprüfbaren Rahmen und in umsetzbarer Weise realisiert wird. Er regt zudem an, ob es nicht möglich sei, bei kommunalen Eigenbetrieben Sonderregelungen in Kraft zu setzen, die es z. B. dem öffentlichen Personen- und Nahverkehr gestatten, die Auftragsvergabe gesondert zu bewerten. Zumal es sich bei diesen Firmen teilweise um Unternehmen handelt, die bestimmte Kostenbereiche sowieso in öffentlicher Hand durchführen. Geisler unterstrich auch die große Verantwortung der Vergabestellen selbst. Er nannte positive und negative Beispiele in seinem Landkreis.

In dem interessanten Beitrag vom Landrat Geisler beim DGB wurde das grundsätzliche Verständnis der gewerkschaftspolitischen Diskussion zur neuen Gesetzgebung deutlich. Er selbst hatte sich ja schon bei dem direkten Treffen im Landratsamt auf eine fortlaufende Diskussion verständigt. In seinem Vortrag steckte jede Menge Stoff für die anschließende Diskussion mit den Landtagsabgeordneten.

An der Diskussion zwischen den Landtagsabgeordneten nahmen für die SPD-Landtagsfraktion deren Fraktionsgeschäftsführer Stefan Brangs, der CDU- Landtagsabgeordnete Oliver Wehner, der Landtagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Johannes Lichdi, sowie der zuständige Landtagsabgeordnete der FDP, Mike Hauschild, teil. Die Linke war durch Kolleginnen und Kollegen im Publikum vertreten.

Die Besonderheit der Diskussion war es, dass Vertreter aller Parteien miteinander diskutierten, die eigene Gesetzentwürfe für ein neues Vergaberecht in Sachsen eingereicht haben. Der DGB hat im Laufe der Kampagne in ganz Sachsen, wie auch in der Region, bereits mit vielen Stadträten, Kreisräten und Abgeordneten diskutiert. Die Diskussion untereinander jedoch fand direkt eher nicht statt. Das mag vor allem daran gelegen haben, dass die Koalitionsfraktionen eher mit der Erarbeitung eines eigenen Gesetzentwurfes beschäftigt waren. Wie beide anwesende Vertreter herausstrichen, hat man sich dafür ausführlich Zeit genommen.

Während die Regierungsparteien mit ihrem Entwurf für das geplante Gesetz sich darauf konzentrieren, so knapp wie möglich die europarechtlichen Änderungsnotwendigkeiten umzusetzen, und ein möglichst einfach rechtlich überprüfbares Instrumentarium für die Auftragsvergabe zu schaffen, wollen die Vorlagen von SPD und LINKE und auch Bündnis 90/Die Grünen wesentlich mehr. Stefan Brangs machte für den Gesetzentwurf seiner Partei deutlich, dass die Praxis mit Niedriglohn Wettbewerbsverzerrungen, Verschleuderung von Steuergeld und die gleichzeitige Schaffung von Alltagsarmut in Sachsen beendet werden muss. „Es wird deutlich, dass die Koalition bei der Vergabe von etwas völlig anderem redet, als wir. Soziale Standards, ökologische Kriterien und die Verhinderung von Sozialdumping ist kein Thema für die Staatsregierung. Die Ideologie verbietet der CDU die Zustimmung zur Mindestlohnregelung, oder präziser gesagt, die FDP.“

Oliver Wehner hielt für die CDU dagegen und strich heraus, dass weitergehende soziale Standards im Vergabeverfahren selbst festgezogen werden müssen. Der CDU-Parlamentarier wünschte sich mit Vehemenz „starke Gewerkschaften und starke Arbeitgeberorganisationen, die Tarife vereinbaren.“ Wehner traut es Politikern grundsätzlich nicht zu, den wirtschaftlich richtigen Mindestlohn zu finden. Des Weiteren stellt der CDU-Politiker fest dass, es sich bei Löhnen von 3,50 € und weniger um Vergütungen handelt, die sowieso das Gesetz brechen. Dies müsse aber anderweitig geahndet werden. Wehner griff in der Diskussion um Mindestlöhne ein, und stellte für seine Partei fest, dass man entsprechende bundeseinheitliche branchenspezifische Mindestlöhne nach Parteitagsbeschluss anstrebt. Dies müsse aber der Bund regeln, und nicht die einzelnen Länder.
Johannes Lichdi informierte über die Schwerpunkte seiner Partei, die unter anderem die „Lebenszyklen“ von Produkten der öffentlichen Auftragsvergabe berücksichtigen muss. Es hat aus Sicht von Bündnis 90/Die Grünen keinen Sinn, die öffentlich erbrachten Leistungen von den erarbeiteten Produkten zu trennen. „Natürlich müssen die Energiekosten, die Beseitigungskosten und die Betriebskosten selbst bei den Aufträgen bewertet werden. Die Koalition vertritt ein verengtes Bild von Leistungen, welches sie zu falschen Schlussfolgerungen zur Frage der Wirtschaftlichkeit kommen lässt.“ Er plädierte dafür, den Begriff der Vertragsfreiheit ernst zu nehmen, und deshalb die gesamten Lebenszykluskosten in öffentlichen Aufträgen zu berücksichtigen.

Der FDP-Landtagsabgeordnete und Handwerksarbeitgeber Mike Hauschild begründete die Position seiner Partei damit, „dass in das Gesetz das reingehört, was klare rechtliche nachvollziehbare Kriterien sind und keine vergabefremden Leistungen.“ Hauschild betonte, für die Koalitionsfraktionen den nunmehr seit einer Woche vorliegenden Gesetzentwurf ausgearbeitet zu haben. Der Handwerksmeister, der als Fliesenleger selbst öffentliche Aufträge umsetzt, verwies in seinen Ausführungen auf seine großen Erfahrungen mit entsprechenden Aufträgen nicht nur in Deutschland. So schilderte er seine Erfahrungen in Bratislava. Er verwies darauf, dass die Aufträge von ihm dort mit „seinen Leuten“ mit gleichen Löhnen umgesetzt werden. Er zeigt durchaus Verständnis für den Zusammenhang von Bezahlung und Qualität, legt jedoch Wert darauf, das Gesetz nicht zu „überfrachten“.

Im Laufe der Diskussion meldeten sich auch aus dem Publikum einige Anwesende zu Wort und brachten Beispiele im Kontext der Vergabe ein. Dabei wurden Realprobleme benannt, so berichtete beispielsweise ein Handwerksmeister von seinen Schwierigkeiten bei der Umsetzung von öffentlichen Aufträgen. Abgeordnete wurden direkt angesprochen und mit Positionen ihrer Parteien konfrontiert. Kein Verständnis gab es dafür, mit dem geplanten Gesetz auf jedwede bindende soziale Kriterien zu verzichten. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass in Pirna eine sehr interessante Debatte um öffentliche Aufträge stattfand. Mit dem Thema wurde ganz offensichtlich ein Thema getroffen, dass viele Menschen bewegt und einen ansprechbaren kommunalen Zusammenhang berührt.

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