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Gesetze - Andere Bundesländer

20.01.2014, Düsseldorf

Rechtsgutachten: Das Tariftreue- und Vergabegesetz NRW ist europarechtskonform

Rechtswissenschaftler analysiert Klage der Bundesdruckerei

Rechtsgutachten: Tariftreue-Gesetz in NRW mit Europarecht vereinbar

Das nordrhein-westfälische Tariftreue- und Vergabegesetz (TVgG NRW) ist europarechtskonform. Zu diesem Ergebnis kommt der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Wolfgang Däubler in einem Gutachten, welches das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung in Auftrag gegeben hat. Anlass für die Expertise war eine Klage der bundeseigenen Bundesdruckerei gegen das TVgG NRW. Die Bundesdruckerei hatte sich um einen Auftrag der Stadt Dortmund zur Aktendigitalisierung beworben, bestand jedoch darauf, dass ihre polnische Tochter INCO Spolka nicht den im NRW-Gesetz verankerten Mindestlohn in Höhe von 8,62 Euro pro Stunde bezahlen müsse. Eine solche Vorgabe verstoße gegen das Unionsrecht; der Europäische Gerichtshof (EuGH) muss entscheiden, ob dies wirklich der Fall ist.

In dem Gutachten führt der Juraprofessor Däubler gleich mehrere Gründe an, weshalb die Auffassung der Bundesdruckerei keine Aussicht auf Erfolg hat. Neben prozessualen Bedenken, die gegen die Einschaltung des EuGH sprechen, ist das Gesetz nach seiner Analyse auch inhaltlich mit dem Unionsrecht vereinbar: Weder die Entsenderichtlinie noch die Dienstleistungsfreiheit sind verletzt. Darüber hinaus macht Däubler deutlich, dass auch das Übereinkommen Nr. 94 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO Regelungen wie die im TVgG NRW ausdrücklich legitimiere.

Die Entsenderichtlinie stand bereits bei früheren Verfahren vor dem EuGH im Mittelpunkt. So entschied der Gerichtshof im Jahr 2008, dass das damalige niedersächsische Tariftreuegesetz nicht europarechtskonform sei. In dem so genannten "Rüffert-Urteil" ging es allerdings nicht um einen vergabespezifischen Mindestlohn, sondern ganz generell um die Einhaltung von Tarifverträgen. Gesetzliche Mindestlöhne deckt dagegen die Entsenderichtlinie ausdrücklich ab, so das Gutachten. Die gelegentlich vorgebrachte Kritik, dass es sich lediglich um einen "Partikularschutz" für Arbeitnehmer handle, die öffentliche Aufträge ausführen, ist für Däubler nicht überzeugend. Sie nehme nicht zur Kenntnis, dass die vom Unionsrecht ausdrücklich zugelassenen sozialpolitischen und umweltbezogenen Vorgaben immer nur diejenigen betreffen, die mit der Ausführung des vergebenen Auftrags betraut sind. Auch sind Branchenmindestlöhne in der Entsenderichtlinie erlaubt. Ein flächendeckender Mindestlohn werde dort nicht gefordert, so der Rechtswissenschaftler.

Das Gutachten leuchtet den europarechtlichen Hintergrund aber noch weiter aus. Eine hundertprozentige Tochter könne sich nicht auf die Dienstleistungsfreiheit berufen, wenn sie - wie hier - nach dem Willen der inländischen Alleineigentümerin handle. Selbst wenn man dies anders sehe, gelte die Dienstleistungsfreiheit nicht schrankenlos. Sie könne aus "zwingenden Gründen des Allgemeinwohls" beschränkt werden, wozu nach der Rechtsprechung des EuGH auch die Wahrung von Arbeitnehmerinteressen gehöre.

Darüber hinaus, argumentiert das Gutachten, müsse der EuGH auch die föderale Regelungsstruktur der Bundesrepublik berücksichtigen. Ausdrücklich sehe das EU-Recht die Achtung der internen Regelungsmechanismen der Mitgliedstaaten vor (Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EUV). Somit müsse beachtet werden, dass sich gerade auch Gründe des Allgemeininteresses wie der Arbeitnehmerschutz in föderalen Systemen schrittweise entwickeln könnten. So könne zunächst nur ein Bereich erfasst sein, beispielsweise die öffentliche Vergabe in einem Bundesland, und diese dann als "Vorbild" für andere Bereiche fungieren, die "nachziehen" könnten. Partielle Schutznormen auszuschließen, würde einen solchen Prozess unmöglich machen und somit ohne Not in die demokratische Gesetzgebung eingreifen, so Däubler. Das in den Verträgen von Lissabon verstärkte soziale Element bliebe unberücksichtigt. Ein vergabespezifischer Mindestlohns sei auch "verhältnismäßig", weil er von allen denkbaren Alternativen am wenigsten in die Dienstleistungsfreiheit eingreife, betont der Jurist.

Schließlich verweist Däubler noch auf das ILO-Übereinkommen Nr. 94. Es sieht explizit Lohnvorgaben bei öffentlichen Aufträgen vor und ist von zehn EU-Mitgliedstaaten ratifiziert worden. ILO-Übereinkommen seien nach der Rechtsprechung Anhaltspunkte für allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts, argumentiert das Gutachten. Sie würden nach allgemeiner Auffassung das Unionsrecht ergänzen, weil dieses aufgrund seiner Entstehungsgeschichte notwendigerweise lückenhaft sei. Ein solcher Rechtsgrundsatz sei bereits dann gegeben, wenn ein ILO-Übereinkommen von der Arbeitskonferenz der ILO (in der alle EU-Mitgliedstaaten vertreten sind) beschlossen wurde, auch wenn nicht alle Mitgliedstaaten der EU das Übereinkommen ratifiziert hätten.

ILO-Übereinkommen wurden nach Däublers Analyse bereits in anderen Rechtsfällen (u. a. Viking und Laval) als Mittel zur Auslegung des Unionsrechts herangezogen. Allerdings habe sich die Rechtsprechung bislang gescheut, einen allgemeinen Rechtsgrundsatz allein unter Rückgriff auf ILO-Übereinkommen anzunehmen. Wichtig könne jedoch sein, dass es in vielen Mitgliedstaaten eine Praxis gebe, die dem Übereinkommen entspreche. So hat beispielsweise das italienische Recht den Wortlaut des ILO-Übereinkommens Nr. 94 fast wörtlich übernommen und sogar auf Unternehmen erstreckt, die eine staatliche Subvention erhalten haben.

Einen Widerspruch des TVgG NRW zu Unionsrecht ist Däubler zufolge also nicht zu erkennen. Zudem könne aus dem ILO-Übereinkommen Nr. 94 ein allgemeiner Rechtsgrundsatz hergeleitet werden, der gerade solche Regelungen wie in NRW zulasse.


Quelle: [WSI-News] WSI Newsletter 2/2014 bzw. HBS-Newsletter 24.01.2014

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