DGB Sachsen - BILLIG KOMMT TEURER - Öffentliche Aufträge gesetzlich fair regeln!

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Berichte

10.10.2012, Freital Kulturhaus

Kommunen brauchen Kriterien für Vergabe - Diskussion zum Vergabegesetz in Freital beim DGB

Am 10. Oktober 2012 diskutierten in Freital der Oberbürgermeister Klaus Mättig und Landtagsabgeordnete mit dem DGB und dem Bündnis „Für soziale Gerechtigkeit“ über ein neues sächsisches Vergabegesetz. Im Kulturhaus in der Lutherstraße führte Dr. Ghazaleh Nassibi vom DGB-Bundesvorstand in die Entwicklung der Tariftreue- und Vergabegesetze der Bundesländer ein und schuf einen hervorragenden inhaltlichen Rahmen für eine spannende Diskussion. Dies war in wenigen Tagen bereits die zweite Veranstaltung des ehrenamtlichen DGB-Kreisverbandes Sächsische Schweiz Osterzgebirge zur Gestaltung der öffentlichen Aufträge. Der Abend brachte eine kurzweilige und qualitativ hoch anspruchsvolle Diskussion mit dem Publikum.

Dr. Nassibi, die Referatsleiterin für Tarifkoordination, arbeitete in ihrem Vortrag die gesetzlichen Möglichkeiten für öffentliche Vergaben heraus und fasste die gewerkschaftlichen Kernforderungen für ein faires, modernes und ökonomisch sinnvolles sächsisches Vergabegesetz zusammen. Dabei sprach sie ausführlich über die Legitimität von Tariftreueregelungen und setzte sie in den Zusammenhang der europäischen Rechtsentwicklung. Der DGB sieht drei grundsätzliche Ansatzmöglichkeiten zur Regelung eines bestimmten Lohnniveaus bei öffentlichen Aufträgen. Da es zwischen der Bezahlung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Qualität der Arbeit Zusammenhänge gibt, muss ein Vergabegesetz die Entlohnung im Blick behalten. Es ist möglich, auf der Basis allgemein verbindlicher Mindestlöhne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) verbindliche Regelungen zu treffen, genauso wie umfassende Tariftreueregelungen für den öffentlichen Personen- und Nahverkehr. Ebenso wichtig ist es, allgemeine vergabespezifische Mindestlöhne als absolute Lohnuntergrenze festzusetzen. Abschließend stellte Dr. Nassibi die aktuellen Tariftreueregelungen dar. Ihr Fazit: Die Entwicklung zeigt ein Comeback der Tariftreue.

Der Oberbürgermeister von Freital, Klaus Mättig, sprach in seinem Beitrag zu kommunalen Anforderungen für ein modernes Vergabegesetz vom „notwendigen Vertrauen in die Entscheidungskompetenz der Kommunen“. Die Kommunen wollen bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen nicht die billigsten Anbieter, sondern ausreichend Qualität zu einem vernünftigen Preis. Und natürlich wollen die Kommunen vor allem, dass bei der Vergabe von Steuergeld die Aufträge an Unternehmen der Region vergeben werden. Klaus Mättig hatte Geschäftsführer seiner kommunalen Unternehmen, z. B. Wohnungsunternehmen, mitgebracht, und verwies darauf, dass den kommunalen Verantwortlichen selbstverständlich auch ordentliche Löhne für ordentliche Arbeit wichtig sind. Die Kommunen geben sich große Mühe, sind jedoch bekannter Maßen sehr engen finanziellen Spielräumen ausgeliefert. Der Oberbürgermeister gab zu bedenken, dass sich aus seiner Sicht die Kommunen selbst oftmals gar nicht in der Lage sehen, „die Wirtschaftlichkeit genau nach zu klären“. Er befürchtet, dass „wir soziale und ökologische Kriterien nicht in das Gesetz bekommen“. Insgesamt sieht er aber vor allem Probleme seitens der Planungsbüros und stellte durchaus Kompetenzen in Frage. Mättig gab auch zu bedenken, dass, ob der Kurzfristigkeit von finanziellen Mitteln für öffentliche Aufträge, oftmals zu wenig Zeit für bestimmte Vergabeprozesse besteht. Abschließend warb Freitals Oberbürgermeister noch einmal dringend um Vertrauen und klare gesetzliche Regeln für die Arbeit vor Ort.

Nach Klaus Mättig eröffnete der DGB-Kreisverbandsvorsitzende Thomas Dißelmeyer die Diskussion im Kulturhaus. Thomas Kind von der Fraktion DIE LINKE stellte in der anschließenden Podiumsdiskussion die Herangehensweise an das Gesetz seiner Partei dar, die gemeinsam mit der SPD und in Absprache mit dem DGB Sachsen einen Gesetzentwurf eingereicht hat. Dieser Gesetzentwurf sieht neben Mindestlohnstandards soziale Mindestkriterien für die Auftragsvergabe vor. Bereits in der Anhörung des Landtages am Tag zuvor wurde aus Sicht von Kind durch die Sachverständigen klar herausgearbeitet, dass es Steuermöglichkeiten für soziale Grundstandards und auch für das Lohnniveau über die Auftragsvergabe gibt.

Prof. Dr. Roland Wöller skizzierte im Anschluss für die Parteien der Regierungskoalition seine Sicht auf das Gesetzgebungsverfahren. Insbesondere strich er heraus, dass mit der Präzisierung des Begriffs der Wirtschaftlichkeit abgesichert sei, dass in Zukunft darunter nicht das billigste Angebot verstanden werden muss. Weniger Bürokratie, klare Regeln zur Umsetzbarkeit sind gerade für die Arbeit in den Kommunen dringend notwendig. Wöller bemerkte zur grundsätzlichen Richtung von Gesetzgebung, „das man überall dort, wo man kein Gesetz machen muss, es eigentlich auch sein lassen sollte“. Jede Regelung bringt auch Umsetzungsanforderungen, und aus seiner Sicht sollte man möglichst unbestimmte Rechtsbegriffe vermeiden.

Eva Jähnigen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erläuterte den Gesetzentwurf ihrer Partei. „Unser Vergabegesetz ist unter anderem ein Baustein gegen Niedriglöhne und soll ganz klar die Tarifbindung stärken. Wir wünschen uns Wettbewerb, und zwar einen Wettbewerb um ökologische und soziale Standards.“ Jähnigen nannte drei grundsätzliche Ziele für das Vergaberecht. Gute Sozialstandards, ökologische Standards und die Berücksichtigung von Folgekosten. Mindestlohngrenze sieht sie bei 8,50 Euro. Abschließend erinnerte sie daran, dass das Gesetz auch der Korruptionsbekämpfung dienen muss. Zum Bürokratieabbau schlagen die Grünen Präqualifikationsverfahren vor, die vor den eigentlichen Vergabeverfahren durchgeführt werden sollen.

Mike Hauschild von der FDP-Fraktion hatte den Gesetzentwurf der Koalition wesentlich mit erarbeitet. Er erinnerte in seinem Beitrag daran, dass das Gesetz genau die Dinge regeln soll, die wirklich in das Gesetz gehören. Vergabefremde Kriterien, für deren Inhalt er durchaus Verständnis hat, müssen anders geregelt werden. In der Hauraufsetzung der Vergabeschwelle und der Präzisierung von Wirtschaftlichkeit sieht er einen wesentlichen Beitrag, die Vergabe rechtssicher zu regeln, und Firmen vor überbordender Bürokratie zu schützen. Er erinnerte daran, dass er als Inhaber einer Handwerksfirma den Zusammenhang von Qualität und Lohn selbst anwendet, und zeigte Verständnis dafür, dass die Arbeitnehmer ordentlich bezahlt werden müssen. Dies ist jedoch nicht im vorliegenden Vergabegesetz zu regeln. Die Straffung der Vergabe ist durch seine Partei vorgesehen. Mit den Einspruchsmöglichkeiten bei der Vergabekammer und dem Festlegen der Fristen für Widersprüche bei der beaufsichtigenden Behörde sind Einspruchsfristen nach 20 Tagen abgeschlossen. In den 10 Paragraphen des Gesetzes der Koalition und seiner dazugehörigen Anlage sieht Hauschild eine neue Regelung für Sachsen gesichert.

Dagmar Neukirch von der SPD-Fraktion betonte, dass auch aus ihrer Sicht das Gesetz nur die Dinge regeln soll, die geregelt werden müssen. Aber es soll die Vergaben eben gut regeln. Dazu gehören soziale und ökologische Standards, die nicht als „Bürokratiebeitrag zu sehen sind, sondern klare allgemeinverbindliche Regeln für Grundstandards definieren. Es ist alle Mal besser, die Rechtsbegriffe im Gesetz präzise zu formulieren, als die Dinge später vor Gericht zu klären“. Neukirch erinnerte an die großen Schwierigkeiten mit verschiedenen gerichtlichen Verfahren, dann die Einzelheiten zu klären, die man vorher im Gesetz zu regeln, versäumt hat.

In der ausführlichen Diskussion mit dem Podium konzentrierte sich DGB-Regionsvorsitzender Ralf Hron auf den von der Koalition eingeführten Begriff der sogenannten „vergabefremden Leistungen“. Angesichts der Tatsache, dass weiterführende Standards nunmehr in 13 Bundesländern zur Anwendung kommen, kann Sachsen doch nicht ernsthaft argumentieren, das weiterführende Regelungen nicht möglich sind. Wenn die Koalition keinen Beitrag leisten will, gegen die Ausbreitung von Niedriglohn, dann soll sie das klar formulieren. In jedem Fall ist aus Sicht der Kommunen die Strategie falsch, die inhaltlichen Regelungsbedarfe „vor Ort zu schieben“. Die Vergabestellen brauchen klare Bezugspunkte, um weiterführende Standards durchzusetzen. „Dort, wo der finanzielle Druck am größten ist, nämlich in den Kommunen, werden wir nicht das regeln können, was wir in der Landesgesetzgebung verhindern.“

Frank Kunze von der IG BAU schilderte eindrücklich praktische Probleme bei der Vergabe. Er forderte, dass jetzt endlich den teils abenteuerlichen Ausschreibungen gesetzlich begegnet werde. Wer Qualität erwartet, muss entsprechende Preise zahlen. In der Diskussion unterstrichen mehrere Gäste, wie z. B. ein Gemeinderat aus Bannewitz, dass die heute existierenden Regelungen in der Praxis fast immer zwangsweise zu einem Preiswettbewerb nach unten führen. Ein Unternehmer schilderte seine Erfahrungen, dass die Vergabestellen manchmal noch nicht einmal im Ansatz über die notwendige Erfahrung verfügen. Gerade die Vergabestellen wurden in verschiedenen Wortbeiträgen teils scharf kritisiert. Auch der Begriff der Wirtschaftlichkeit wurde wiederholt als zu unpräzise beschrieben.

Im Laufe der anspruchsvollen und lang andauernden Diskussion machte Prof. Dr. Wöller sein inhaltliches Grundverständnis deutlich, dass für ihn nicht automatisch all das gut ist, was in anderen Bundesländern passiert. Er sei durchaus für gesetzliche Lohnuntergrenzen, die ja branchenspezifisch auch der Beschlusslage seiner Partei entsprechen. Er machte das Angebot, über sinnvolle weitere Regelungen im Vergabegesetz fortlaufend zu diskutieren. Dieses Angebot nahmen sowohl Dagmar Neukirch von der SPD, wie auch Thomas Kind von der LINKEN und Eva Jähnigen von den Grünen an. Auch Mike Hauschild von der FDP zeigte sich durchaus bereit, nachzudenken. „Man kann alles das einbeziehen, was sinnvoll ist.“ Damit nahmen die Diskutanten einen Ball vom DGB-Regionsvorsitzenden auf, der gefordert hatte, dass sich die demokratischen Parteien zu einem gemeinsamen sinnvollen Beitrag für Qualität der Arbeit und gegen ein Niedriglohnland Sachsen entschließen sollten.

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